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Dürfen Vereine sterben?

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Widdewiddewitt, Tradition und Größe macht Anspruch, und Geld macht Erfolg!

von Hardy Grüne, dieser Text erschien zuerst in Ausgabe 15 des Zeitspiel-Magazins, das Heft mit dem Schwerpunkt “Überleben im Turbokapitalismus” kann hier bezogen werden.

350.000 Euro via Crowdfunding in Wattenscheid. Deren 120.000 Euro in Wuppertal. Über eine Million bei einer Fananleihe zur Rückzahlung einer Fananleihe in Kaiserslautern. Angeschlagene Fußballklubs lassen sich reihenweise von ihren Fans die, sorry, Ärsche retten. Denn „Tradition darf nicht sterben“.

Dafür bin ich auch. Schon aus persönlichen Erfahrungen. Mein Verein, der 1. SC Göttingen 05, starb 2003, nachdem über lange Zeit alljährlich händeringend Geld akquiriert worden war, um von Halbserie zu Halbserie zu kommen. Auch von Fans, die trotz ehrenamtlicher Arbeit brav Eintritt zahlten, ihr Bier bevorzugt im Klubhaus tranken („dann bleibt das Geld im Verein“) und eine Menge Geld für ein Stück Stoff in den Vereinsfarben ausgaben.

Bei Geld hört die Liebe auf, heißt es. Im Fußball gilt das nicht. Da fängt die Liebe bei Geld erst richtig an. Wattenscheid, Wuppertal und Kaiserslautern stehen für ein Dilemma, das sattsam bekannt ist: Große Ambitionen und hohe Risikobereitschaft treffen auf eine Fangemeinde, die ein „Wir müssen wieder groß werden“-Mantra pflegt und sich mit dem Tunnelblick des Schwerverliebten die Welt schön malt wie dereinst Pippi Langstrumpf: „Tradition und Größe machen Anspruch, widdewiddewitt, und Geld macht Erfolg! Wir machen uns die Welt, widdewidde, wie sie uns gefällt…“

Von der Last der Tradition

Um keinen Zweifel zu lassen: Der Tod eines Fußballklubs mit 100 Jahren Tradition ist eine bittere Sache. Es stirbt ein Stück Stadtgeschichte. Auch in Göttingen trauerte man 2003 und erinnerte sich wehmütig an die goldenen Tage. Dann gingen alle zur Tagesordnung über. Göttingen ist – außerhalb von WM und EM – schon lange keine Fußballstadt mehr, sondern eine Basketballstadt. Da tragen die Gegner Namen wie ratiopharm Ulm oder s.Oliver Würzburg. Lediglich eine Handvoll Fußballfans kehrte die Trümmer des 1. SC 05 zusammen und setzte sie in Verbund mit dem Vorstadtverein RSV Geismar als RSV Göttingen 05 wieder zusammen. Baute mit eigenen Händen eine Stehtribüne, opferte zig Stunden ehrenamtlicher Arbeit und freute sich, als es wieder aufwärts ging. Die Reise führte von der achtklassigen Bezirksklasse zurück in die Oberliga, wo man wieder auf das alte Problem traf, das schon den 1. SC 05 gekillt hatte: zu hohe Kosten, zu geringe Einnahmen. Ohne externe Geldgeber war die Liga nicht zu wuppen. Der ersehnte Geldgeber kam und gab das Motto „one team, one dream“ aus. Ziel: Regionalliga. Tatsächlich aber ging es zurück in die Bezirksliga, hinterließ das Engagement des Geldgebers, der nach einem knappen halben Jahr die Brocken hinwarf, verbrannte Erde und eine gespaltene Tradition. Heute gibt es in Göttingen zweimal 05 – den RSV 05 in der Kreisliga und den 1. SC 05 in der Landesliga. Bei letzterem bauten Fans übrigens kürzlich mit eigenen Händen in ihrer Freizeit eine Bratwurstbude.

In der Liebe wirkt Geld oft toxisch auf die Beziehungschemie. Eine Crux, die auch im Fußball auftritt. Gerade bei den so genannten „Traditionsvereinen“. Ein Begriff, der einst als Qualitätssiegel galt und heute als Kampfschwert zwischen Traditionalisten und Modernisten dient. Ein Traditionsverein blickt auf eine schillernde Vergangenheit zurück, steht oft in einer schwierigen Gegenwart und sieht sich in der heiligen Verpflichtung, zu „alter Größe“ zurückzukehren. In der Regel steht eine mehr oder weniger große Fan- und Zuschauerszene dahinter, die sich wehmütig an „früher“ erinnert und fordert, man müsse dorthin zurückkommen – notfalls eben mit Gewalt. Sprich mit Geld. Als die Meldung vom drohenden Finanzcrash aus Wuppertal kam, schrieb ein Anhänger der Bergischen an den Red-Bull-Konzern und warb um Unterstützung. In Kaiserslautern hoffte man derweil auf den Einstieg des russischen Geldadeligen Michail Ponomarew – was wiederum in Krefeld-Uerdingen Ängste auslöste; denn dort weiß man, dass der KFC 05 nicht halb so sexy ist wie der FCK. Und Ponomarews Liebe zum KFC sollte besser nicht auf eine harte Probe gestellt werden.

Vernunft (und Moral?) scheinen ausgeschaltet, wenn es um den finanziell angeschlagenen eigenen Klub geht.

Dazu passt die Kritik an den Warnern, denen zugeblafft wird, man müsse „jetzt erstmal zusammenstehen und den Klub retten, analysieren können wir später“. Wobei „später“ häufig „nie“ heißt, weil nach der wie auch immer gelungenen Rettung sofort die Forderung auftaucht, dass nun, wo es doch „endlich wieder läuft“, aber auch wirklich „die Rückkehr zu alter Größe“ folgen müsse. Unterdessen ist der Keim für die nächste Krise schon gelegt – beispielsweise weil man externen Geldgebern die Kontrolle über seinen Verein übergab, die damit ihre eigene Interessen verfolgen.

„Alle wollen an die fetten Fleischtöpfe“

Wirtschaftlich angeschlagene Traditionsvereine wecken das Mitgefühl von Fans im ganzen Land. So wurde die SG Wattenscheid 09 als wichtiger Traditionsverein gefeiert, der unbedingt zu retten sei, alleine für seine treuen Fans. Nun will ich Wattenscheid 09 nicht das Label als Traditionsverein absprechen und schon gar nicht den Fans der Schwarz-Weißen zu nahe treten, möchte aber doch daran erinnern, dass der Aufstieg des Klubs in die Bundesliga 1990 vor allem einem Geldgeber zu verdanken war und dass die SG 09 seit Menschengedenken dafür steht, nicht sonderlich viel Publikum anzulocken. In seinen Erfolgsjahren war der Verein die graueste Maus, die man sich nur vorstellen konnte.

Bei Tradition verklärt sich der Blick, wird die Debatte unscharf. Und geht es nicht eigentlich auch vielmehr um eine „Erinnerung“ an Fußball? Als Klubs wie Wattenscheid 09 oder der Wuppertaler SV noch „oben“ mitspielten? Stehen sie nicht stellvertretend für jene „gute alte Zeit“, als das Kapital (angeblich) noch kein Interesse am Fußball hatte und von Fußball spielenden Unternehmen wie Red Bull nichts zu sehen war? Es gibt ein ganzes Bündel von Vereinen, die in diesem Kontext leuchtende Augen auslösen: Rot-Weiss Essen, Alemannia Aachen, Kickers Offenbach, Waldhof Mannheim, SpVgg Bayreuth, Schweinfurt 05, Chemnitzer FC, Rot-Weiß Erfurt, VfB Oldenburg oder VfB Lübeck, um nur eine Handvoll zu nennen. Für jene Klubs ist die Existenz im Schatten des Eventfußballs doppelt schwer. Denn ihre Vergangenheit ist auch Last und sorgt für Handlungsdruck nahe der Unvernunft. Die Zugkraft des traditionsreichen Namens hilft zwar bei der Sponsorensuche, lockt aber zugleich Finanzhasadeure an, die das Blaue vom Himmel versprechen. Und die treue Fanszene garantiert einerseits das Überleben und verleitet andererseits zu waghalsiger Finanzpolitik, weil die Ungeduld zu groß ist. Ein Teufelskreis, aus dem es kein Entrinnen gibt?

Gejammert wird – gerne mit empörtem Verweis auf DFB, DFL oder überhaupt Kommerzfußball – über die Rahmenbedingungen. „Alle wollen an die fetten Fleischtöpfe“, sagte Christopher Fiori, Geschäftsführer von Kickers Offenbach, gegenüber „Sport1“. Während in der Regionalliga kümmerliche 90.000 Euro fließen, sind es in der 3. Liga gegenwärtig 1,1 Millionen und in der 2. Bundesliga gar zehn Millionen Euro. Fiori: „Das lässt den einen oder anderen in die Unvernunft abgleiten.“ Eine fatale Dynamik, denn die Klubpolitik wird einseitig an einer limitierten Zahl von Geldtöpfen ausgerichtet. Das war im Leistungsfußball natürlich schon immer so, doch derart unter Druck wie aktuell standen die Klubs selten. Zumal es kein Entrinnen gibt. Denn wer es durch das Nadelöhr Regionalliga tatsächlich in die 3. Liga schafft, kommt auch dort nicht zur Ruhe. Von 19 Drittligaklubs der Saison 2017/18 waren 15 mit durchschnittlich 662.000 Euro verschuldet. Ihre Hoffnung: der so genannten „Pleiteliga“ entgehen und in die 2. Bundesliga aufrücken, wo die wirklich üppigen TV-Gelder fließen. Dass die 3. Liga unter diesen Umständen zur Insolvenzmaschine wird (zuletzt VfR Aalen, FSV Frankfurt, Chemnitzer FC, Rot-Weiß Erfurt) darf nicht überraschen.

Zuspitzung der Ligapyramide

Nun ist unstrittig, dass die Rahmenbedingungen zwischen 3. Liga und den fünftklassigen Oberligen schwierig sind. Der ökonomische Druck aus dem Kommerzfußball kommt „unten“ an. Die vielen Tausend bestens ausgebildeten Fußballer, die im Profilager keinen Platz gefunden haben, sorgen für eine nie dagewesene spielerische Qualität, kosten aber auch ihren Preis. Die Infrastruktur ist teuer. Die Schnittstelle der Unvernunft liegt übrigens nicht in der 3. Liga, sondern in der Regionalliga, wo die unsägliche „Meister müssen aufsteigen“-Problematik erschwerend hinzukommt und dafür sorgt, dass sich Klubs erst mit hohem Risiko verschulden, um dann trotz Meisterschaft doch nicht aufzusteigen.

Dennoch ist die gebetsmühlenartige Wiederholung von Schlagwörtern wie „Überlebenskampf“, „Verantwortung des DFB“ oder „Wir brauchen mehr TV-Geld“ ermüdend. Denn schlussendlich ist es eine Systemfrage. Leistungsfußball ist ein kapitalistisches System, da macht man entweder mit und unterwirft sich den Regeln oder lässt es bleiben. Leider ist der Lerneffekt vor allem bei Traditionsvereinen (und auch deren Fans!) gering bis nicht existent. Tradition wird häufig als Berechtigungsschein für einen Platz im höherklassigen Fußball betrachtet. Doch höherklassiger Fußball hat sich in den letzten Jahrzehnten rasant verändert. Werfen wir mal einen kurzen Blick auf die Entwicklung der Ligapyramide. 1963 gab es in den beiden deutschen Staaten 100 Erst- und 200 Zweitligisten. 1981 schrumpften die Zahlen auf 32 Erst- und 56 Zweitligisten, seit 1994 sind es jeweils 18 Erst- bzw. Zweitligisten. Auf Drittligaebene sank die Zahl von 250 im Jahr 1981 auf aktuell 20, und selbst in der Viertklassigkeit sind heute nur noch 72 Teams vertreten. Es hat eine ungeheure Verdichtung des Leistungsfußballs in Deutschland gegeben.

Daraus ergibt sich die logische Konsequenz, dass eine Menge Vereine herausgefallen sind und auch nie zurückkehren werden. Die meisten wird man wohl nicht vermissen, oder weiß noch jemand, dass der SC Concordia Hamburg über Jahrzehnte zu den führenden Amateurvereinen in Norddeutschland zählte? Und selbst Traditionsklubs wie Schwarz-Weiß Essen fehlen wohl nur wenigen. Zur drastisch verschlankten Ligapyramide – noch einmal: von etwa 330 Erst- bis Drittligisten der späten 1980er-Jahre sind 2019 ganze 56 geblieben – gesellen sich neue Player wie RB Leipzig und Hoffenheim. Dazu kommen die üblichen Bewegungen innerhalb der Pyramide, drängten Klubs wie Mainz 05 oder FC Augsburg erfolgreich nach oben. Daraus ergibt sich ein Dominoeffekt, rutschten langjährige Bundesligisten wie VfL Bochum, 1. FC Kaiserslautern, MSV Duisburg und die Ostvereine (deren Schicksal freilich Spezialfälle sind) aus der Erstklassigkeit und kämpfen heute bisweilen in der 3. Liga ums Überleben.

Halten wir also fest: Das Geld ist knapp (war es immer), und die Ligapyramide ist schlanker geworden. Kosten für Spielergehälter, Infrastruktur und Umfeld explodierten im Zuge der Turbokapitalisierung des „großen“ Fußballs, dessen Effekte sich in sämtliche Nischen ausgedehnt hat. Ein traditionell am Sonntagnachmittag spielender Viertligist steht heute in Konkurrenz mit dem englischen Premier-League-Klassiker Liverpool gegen Manchester United, der für ein paar Cent im Klubhaus live verfolgt werden kann. Zugleich haben sich die großen Sponsoren vom kleinen Fußball abgewandt und konzentrieren sich auf die ganz großen Namen wie Cristiano Ronaldo oder Manchester City. Hinzu kommt der demografische Wandel. Mit den Ehrenamtlichen, die viele Vereine auch der alten dritten und vierten Ligen über Jahrzehnte zusammengehalten haben, verschwinden auch die typischen Kleinsponsoren aus dem Mittelstand, die mit ihren regelmäßigen Geldbeträgen zum Spielbetrieb beigetragen haben. Sie geben ihre Unternehmen auf oder versterben, und die Erbengeneration hat andere Interessen als den lokalen Fußballklub. Letzteres gilt auch für die Zuschauer, die sich längst nicht mehr mit einem Fingerschnipp aktivieren lassen, nur weil der Ball rollt und der Grill angeworfen wird. Alles in allem ein toxisches Gemisch, das bereits seit den 1980er-Jahren brodelt und immer größere Blasen bildet. Vor allem bei jenen Klubs, die innerhalb eines Systems, in dem quasi ausschließlich „viel Geld“ als Antrieb funktioniert, verzweifelt nach oben wollen.

Information
Dieser Text ist aus Ausgabe 15 des Zeitspiel-Magazins, welcher uns im Rahmen unserer Kooperation mit dem Magazin zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt wurde.

Bildnachweis: 

“Wuppertal – Stadion am Zoo 2008” by Ies is licensed under CC BY-SA 3.0


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